Herbstthing 2012 - aus der Sicht von Lillemor

Ich konnte kaum Arbeit finden, denn die Gerüchte über meinen Ausschluss aus der Familie führten dazu, dass kaum jemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Meinen Vorrat an Heilkräutern habe ich dennoch beinahe aufgebraucht, denn in der Not ist auch ein Weib mit zweifelhaftem Ruf gut genug zu heilen. Am Hafen lernte ich dann schließlich meinen Herren kennen. Ich habe beschlossen unfrei zu werden, denn es ist besser unfrei und satt zu sein als frei und ohne Essen und Schutz… Mein Herr Gripnir nahm mich sofort mit auf seine Reisen und wir machten uns auf den Weg zum Ostturm, hier sollte das Herbstthing stattfinden – mein erstes Thing.

Am ersten Abend gab es sehr viel zu tun. Zu meinem Erschrecken gab es für die vielen Gäste nur einen Knecht, Leif, im Dienste des Herren Magnus. So kam es, dass ich neben meinem Herren noch weitere Gäste bewirten durfte. Einige sprachen mich auf meine Vergangenheit an. Ich gab nur Wenigen die fragten Auskunft darüber, denn ich bin froh, dass man mich hier anders behandelt als in Rerik. Ich war nach der vielen Arbeit sehr müde und schaute am Abend den Männern beim Würfeln zu. Mein Vater hatte mir solche Spiele verboten, mein Herr ermutigte mich jedoch mit dem Spielen zu beginnen. Dazu kam es jedoch an diesem Abend noch nicht. Ein Herr namens Snorre wurde von Wesen anderer Art gebissen. Zusammen mit einer Heilerin aus Ronland namens Alia behandelte ich seine Wunde, ich konnte von ihr viel lernen. In dieser Nacht wurde mein Herr auch noch krank. So verbrachte ich die Nacht damit meinem Herren kalte Umschläge zu machen und schlief erst, nachdem sein Fieber gesunken war.

Am nächsten Morgen war ich sehr müde und kümmerte mich viel um das Feuer im Haus und meinen Herren. Nebenher versuchte ich mich nach langer Zeit am Nadelbinden und konnte hier und dort ein Stück Garn erbitten. Es war anfangs sehr schwer für mich und der stetige Schrei nach einer „Maaaaaagd“ unterbrach meine Handarbeiten so oft, dass ich sie bei Seite legen musste. Auch heute durfte ich Alia wieder zur Hand gehen. Snorres Wunde hatte sich entzündet. Eine Wolke süßlichen Eitergeruchs breitete sich im Raum aus, in dem ich eben noch Zwiebeln geschnitten hatte. Wir kratzten die Wunde aus. Danach verrichtete ein Blutegel beste Arbeit und reinigte die Wunde. Den Kamillensut, den ich ohnehin gegen das Fieber meines Herren zubereitet hatte, konnte ich nun auch für Snorres Wundfieber nutzen. Nachdem ich die Kranken und die Gäste verpflegt hatte, ging es auch für mich an diesem Abend ans Trinken und Spielen. Die Zeit verstrich bei „ein Dutzend und ein Halbes“ und ich war hierbei recht erfolgreich an diesem Abend… Die Krüge leerten sich und die Stimmung erhob sich immer mehr. Mit Leif, Snorre und Durundan verging die Zeit wie im Flug. Wir sangen irgendwann Lieder und dachten uns dafür neue Melodien aus. Unser Lieblingslied „All voll“ wurde schließlich von Leif wie ein Schwein gequiekt und gegrunzt, weshalb ich ihm nun meinen persönlichen Beinamen „das Svin“ gab. Der Hunger trieb mich in die Küche, wo mich eine Maus, mir schnüffelnd zugewandt, begrüßte. Nachdem ich die Maus vertrieben hatte, wurde meine nächtliche Mahlzeit von einer weiteren Verletzung Snorres unterbrochen. Wieder hatten ihn Wesen bei der Nachtwache gebissen – dieses Mal in den anderen Arm. Wieder musste die Wunde ausgebrannt werden. Ich hoffe die Narben werden ob der Trunkenheit von Alia und mir nicht allzu schlecht… Beim Weiterfeiern wurde es spät. Ich bin froh, dass der Hausherr Magnus nicht mit uns schimpfte, als er uns trunken im Keller fand. Er holte uns zu sich an das Feuer in die Halle und wir sangen ihm einige Lieder. Die Nacht endete für mich am Morgen zwischen der achten und neunten Stunde. Ich war froh, dass mein Herr meine Trunkenheit nicht bemerkte, als ich ihm abermals die Umschläge wechselte.

Zum Mittag konnte ich hin und wieder am Feuer dösen, die Herren waren mit den Turniervorbereitungen beschäftigt. Doch schnell wollte jedermann etwas zu trinken. Das Ale schien mit jedem Tag etwas eher am Ostturm zu fließen. Neben der Gastbewirtung musste jedoch auch noch das Essen vorbereitet werden. Bei dem Turnier konnte ich hier und dort zugegen sein. Ich hatte mich nicht getraut, selbst teilzunehmen. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Bogen in der Hand gehalten, eine Axt kann ich nicht ordentlich werfen und das mein Stoßen von Steinen ist im Vergleich zur Wurfkraft eines Mannes erbärmlich. So war ich froh, dass ich den Schlamm für den Turnierverlierer lediglich mit anrühren durfte und ihn nicht selbst übergegossen bekam. Nach dem Reinigen des Hofes vom Schlamm, waren jedoch auch meiner Kleidung deutliche Schlammspuren anzusehen…

Nach dem Turnier ließ ich mir von Snorre zeigen wie man eine Axt wirft. Immerhin ist sie drei Mal stecken geblieben. Vielleicht werde ich mich eines Tages auch für ein Turnier bereit fühlen. Meine Axtübungen wurden jedoch mal wieder von einem lauten „Maaaaagd“ unterbrochen. Und so bekam ich an diesem Abend den Beinamen „Herrin der Krüge“, denn die Männer waren stets so durstig, dass ich meistens mit leeren oder vollen Bierkrügen auf dem Weg war. Als ich wieder einmal auf dem Weg in den Keller war, erzählte mir Snorre am Bierfass, dass er für eine wichtige Aufgabe auserwählt worden sei. Er schien nicht ganz bei Sinnen und erzählte mir angetrunken von seinen Todesängsten und, dass dies sein letzter Tag sein würde. Ich wollte ihm zuhören, musste jedoch wieder hoch zu den Gästen, ich wollte keinen Ärger mit dem Herrn Magnus bekommen. Doch eine Hand versperrte mir den Weg am Bierfass vorbei. Ich wurde sauer, denn ich hätte fast die Bierkrüge fallen lassen und dann hätte ich den Ärger bekommen und nicht Snorre, der mir im Weg stand. Ich bat ihn, mich durchzulassen. Ich stellte die Krüge ab und versuchte mich an ihm vorbei zu schieben, da packte er mich und presste mich gegen die Wand. Ich stieß mich mit den Beinen ab von der Wand ab - beinahe wären wir hingefallen - und konnte mich losreißen und schreien, doch er schnappte mich wieder und sein Griff wurde härter. Endlich hatten die Männer draußen meine Schreie gehört. Hilfe würde kommen – dachte ich. Doch als Jarizleif sah was Snorre wollte, da raunte er etwas zu den anderen Männern vor der Tür, die daraufhin anfingen zu gröhlen und uns alleine ließen. Ich wollte durch die Tür nach draußen, doch Jarizleif schloss sie mit einer bestimmten Bewegung und versperrte mir den Weg mit seinem Schild. „Snorre“, sagte er, „Tu das, was Du tun musst, ich habe nichts gesehen“. Sein hämisches Grinsen bereitete mir ein flaues Gefühl im Bauch. Meine Knie wurden weich und ich musste mir Mühe geben nicht ohnmächtig zu werden. Zwischen Wut und Verzweiflung trat ich Snorre, der mich abermals packte und versuchte mich ein einer Ecke des Raumes festzuhalten. Die Tür ging auf und so nutzte ich den kurzen Moment der Ablenkung. Jarizleif versuchte mich zu überzeugen, dass ich bleiben solle. Ich fiel jedoch nicht auf seine, doch recht freundlich gewählten, Worte herein und konnte mich durch den Türspalt ins Freie kämpfen. Hastig rannte ich in die Küche – Mist ich hatte die Bierkrüge im Keller vergessen. In diesem Augenblick war mir alles egal und so setzte ich mich in die hinterste Ecke der Küche und war froh, niemanden sehen zu müssen.

Das Thing begann und es verlangte größte Selbstbeherrschung von mir, Snorre der zu Thingbeginn neben mir stand, nicht anzuschreien und zu beschimpfen, denn der Thingfrieden sollte gewahrt werden und Jurge Svenson hatte mich sehr deutlich darauf hingewiesen, wie ich mich während des Things zu verhalten hätte. So wurde das Thing abgehalten, während die Knechte hauptsächlich Wache schieben durften und ich alle Leute bediente. Irgendwann kam Leif zur Hilfe und ich konnte nach dem Thing noch vor meinem Dienst an der Theke Bjarne von dem Zwischenfall im Keller berichten. Er meinte, darüber müsse man mit dem Hausherren sprechen. Ich bekam Angst, ich wollte keinen Ärger weder mit meinem Herren, noch mit dem Hausherren. Ich fühlte mich zwar nicht schuldig, jedoch ist dies oftmals kein Grund, dass man als Weib ohne Schaden aus solch einer Sache herauskommt. Bjarne gab nicht nach und forderte Magnus zu einem Gespräch, da dieser der Gastgeber war und Snorre an seinem Hof lebte. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch und ging in den Ausschank im Keller. Schnell wurde ich wieder hochgerufen und ins Hinterzimmer zu Magnus und Bjarne bestellt. Erschöpft vom langen Tag setzte ich mich ich nieder und fuhr kurz darauf vom Schreien des Magnus hoch, der mir befahl zu stehen, ich müsse schon warten, bis er es mir erlauben würde zu sitzen. Bjarne erlaubte mir zu sitzen und so musste ich den beiden abermals erzählen was passiert war - was mir höchst unangenehm war. So gerne hätte ich lieber nichts gesagt, aber dann hätte es noch mehr Ärger gegeben. Als ich gerade dabei ansetzte die Worte von Jarizleif auszusprechen, wurde ich barsch unterbrochen und rausgeschickt. Später wurden Snorre und ich wieder in den Raum geholt. Er setzte sich hin und ich stellte mich in die andere Ecke des Raumes, noch einmal würde ich mich nicht ohne Erlaubnis hinsetzen, jedoch musste ich wohl stehen bleiben und so stand ich an der Wand und schaute auf dem Boden. Ich wagte nicht Snorre in die Augen zu schauen, zu groß war meine Abscheu gegen ihn. Alles in meinem Kopf drehte sich und ich war gefangen zwischen Trauer und Zorn. Snorre entschuldigte sich und bot mir einen Schwur an. Er würde solch etwas nie mehr wiederholen und mir außerdem anbieten, so er in meiner Nähe wäre, mich vor Belästigung anderer Männer zu schützen, selbstredend nicht vor denen von Gripnir, da dieser mein Herr sei. Ich zog es vor, nichts zu diesem Schwur zu sagen, ohne mit meinem Herren darüber zu reden. Ich hatte mich fast beruhigt, da bot Magnus mir an, mich für Snorres Tat mit Silber zu entschädigen. Ich musste mir auf die Zunge beißen. Welch Unverschämtheit, mich am Ende wie eine Dirne bezahlen zu wollen - auch wenn dies durchaus dem hornwaller Recht entsprechen würde… Ich schlug das Angebot dankend aus und verließ säuerlich den Raum. Ranulf kam am Abend noch zu mir und versuchte mich dazu zu bewegen mich mit Snorre zu versöhnen. Aber so einfach kann ich das nicht…

Am letzten Abend wurde viel getrunken, ich kümmerte mich um die Krüge und beschloss sobald es ging, schlafen zu gehen. Ich schlief schlecht und träumte viel… Während die anderen nach dem Thing abreisten, blieb ich weiterhin am Ostturm. Gripnir war noch nicht reisefähig und das Svin würde sich sicherlich über Hilfe beim Aufräumen freuen.